Ein Land, das sich erst vor rund 17 Jahren aus einer totalen kommunistischen Herrschaft befreit hat, die aufgrund politischer Krisen noch bis 1997 anhielt, und jetzt versucht europäische, demokratische Gesellschaftsnormen umzusetzen, steht vor einem riesigen Berg von Aufgaben und Problemen. Was nämlich dazu zuerst von Wichtigkeit ist, wo der Veränderungshebel anzusetzen ist, was gut oder schlecht für eine solchen Gesellschafts- und Wirtschaftswandel ist, vermag vermutlich kaum jemand schlüssig zu beurteilen. Ein solches Land ist Albanien.
Rolf Alther, Inhaber der Alther Industrieberatung und Präsident der Gesellschaft Schweiz-Albanien (GSA), und H.-Joachim Behrend, Dipl.-Ing. und Fachjournalist, sowie ebenfalls Vorstandsmitglied der GSA, haben kürzlich einen Informationsbesuch in Albanien unternommen. Das Ziel ihrer Reise galt im Wesentlichen dem Netzwerkausbau der GSA für ökonomische Aufgaben jeder Art. Ihr Interesse galt aber auch einer aktuelleren Einschätzung bezüglich der Fortschritte in wirtschaftlichen und touristischen Bereichen im Aufbruchland Albanien.
Ein wichtiges Meeting in Tirana war unter anderem mit dem Präsidenten der albanischen Industrie- und Handelskammer, Prof. Gjokë Uldedaj. Herr Uldedaj wurde über die Absicht der GSA, im Februar des nächsten Jahres in der Schweiz ein Informationsforum über die albanische Wirtschaft durchzuführen, umfassend informiert. Die Handelskammer, namentlich Prof. Uldedaj und die Kabinetts-vorsteherin, Luljeta Shatku, begrüsst diese GSA-Initiative sehr und haben ihre Unterstützung angeboten.
Albanien als Aufbruchland zu titulieren scheint in der Tat zu stimmen. Es gibt kaum ein anderes Land, in dem dieser Wandel durch Neubauten so deutlich hervorsticht. Gebaut wird derzeit so ziemlich alles: vom Eigenheim über grosse Wohn- und Geschäftsbauten bis zu Hotels jeder Art und Fabrikhallen. Auch der Strassenbau kommt gut voran. Unternehmen mit Baumaterialien und Bauma-schinen dominieren deutlich das Industrie- und Gewerbebild des Landes.
Klassische Industriebetriebe im schweizerischen Sinn sind (noch) kaum anzutreffen. Verschiedentlich sind aber gute Anfänge zu sehen. Im Wesentlich entstehen neue Unternehmen aus grösseren Gewerbebetrieben (Textilnäherei, Schuhfabriken, Möbelfabrikation, Kunsthandwerk, Fisch- und Fleischproduktionen usw.). Nebst den Baumaterialien-Handel und -Produktionen wurden während des Albanienaufenthalts von Rolf Alther und Joachim Behrend diesbezüglich einige Betriebe besucht und die Möglichkeiten des Exports in die Schweiz mit den Unternehmensleitern diskutiert.
Ein Schwerpunkt der Reise war auch, Grundstücke für touristische Überbauungen mit Schweizer Komfort zu finden. In allen Landesteilen bestehen dazu gute Möglichkeiten – insbesondere an den Küstengebieten der Adria. Leider sind die Infrastrukturen hierzu noch mangelhaft oder nicht vorhanden. Und das dürfte letztlich einen entscheidenden Einfluss auf die Realisierung diesbezüglicher Projekte haben.
In der Hotellerie besteht jedoch ein enormer Wachstumsmarkt. Beispielsweise in Golem, südlich von Durrës gelegen und ein Feriendomizil für einheimische und aus den Nachbarländern kommende Touristen, stehen bereits unzählige neue 3- und 4-Sterne-Hotels und Ferienappartements mit und ohne Strandanschluss. Die Freigabe des Freizeitboote-Verbots ab Januar 2009 wird den Boom dann auch vermehrt für mitteleuropäische Touristen anheizen.
Fazit: Es nicht mehr zu übersehen, dass sich Albanien in allen Gesellschafts- und Wirtschaftsbereichen neu orientiert. Die Koordination gewisser Tätigkeiten lässt allerdings noch zu wünschen übrig, so kann man manches noch nach schweizerischen Erkenntnissen mit „Blauäugigkeit“ bezeichnen. Aber ein Armenhaus Europas ist Albanien sicherlich nicht mehr, auch wenn das BIP dies noch ausweist. Alle in der Schweiz erhältlichen Produkte sind auch in Albanien zu haben – und zu fast gleichen Preisen. Durch die geringen Löhne und Gehälter der Bevölkerung können aber keine nennenswerten Steuereinkünfte verzeichnet werden, die helfen würden, dass sowohl Sozialleistungen als auch Infrastrukturprojekte möglichst rasch Realität werden. Für Schweizer Investoren bestehen dennoch gute Einstiegsmöglichkeiten, die man jetzt nutzen sollte.
H.-Joachim Behrend
Vorstandsmitglied der Gesellschaft Schweiz-Albanien