Barbara Artmann, Geschäftsführerin und Inhaberin von Künzli Schuhe, berichtete an einer Veranstaltung der Gesellschaft Schweiz-Albanien über ihre Erfahrungen als Investorin und Schuhproduzentin in Albanien.
Seit rund einem Jahr produziert Künzli Schuhe in Albanien. Die Schweizer Unternehmerin ist im Rückblick etwas überrascht: „Vor anderthalb Jahren hätte ich nie gedacht, dass gerade Albanien uns beim Wachstum helfen wird.“
In ihrem Vortrag zeigte sich Frau Artmann begeistert von der Kompetenz der albanischen Mitarbeiter. Niemand wisse besser, wie man Schuhe herstellt als die Italiener. Und da viele italienische Schuhhersteller in Albanien fabrizieren würden, sei auch das technologische Know-how über die Adria geflossen. So kann Künzli viel über aktuelle Fertigungsmethoden lernen.
Weshalb Albanien?
Das Schweizer Traditionsunternehmen Künzli Schuhe begann 2017, sich nach einem neuen Produktionsstandort umzuschauen, an dem man Näherei und Schuhmontage wieder zusammenführen konnte. Die Montage konnte nicht länger in der Schweiz betrieben werden. Und die Erfahrungen mit verschiedenen externen Partnern in Tschechien, Kroatien und Bosnien, an die die Näherei ausgelagert worden war, waren durchzogen. Ein neuer Partner sollte her.
Ein kosovarischer Angestellter empfahl, Albanien in Betracht zu ziehen, da es dort eine grosse Schuhindustrie gäbe. So begann sich Barbara Artmann, näher mit dem Land auseinanderzusetzen. Vom Potenzial angetan, reiste sie anfangs 2018 zum ersten Mal nach Albanien und war fasziniert von der Professionalität, die sie in den Schuhfabriken dort sah.
Nachdem die Zusammenarbeit mit der Näherei in Bosnien vorzeitigen beendet worden war, musste es plötzlich schnell gehen. Innerhalb von rund zwei Monaten wurde in Albanien eine eigene Schuhfertigung, die „Künzli Factory“ in Betrieb genommen. Eine GmbH zu gründen – was in anderen Ländern ein monatelanger Prozess ist – dauerte nur einen Tag. Auch Räume für die Fabrik und Angestellte waren schnell gefunden.
Hohe Qualität
Natürlich gab es auch in Albanien Rückschläge und Verzögerungen. Die albanischen Fachkräfte zeigten aber viel Kompetenz: Nach wenigen Tagen hätten die Näherinnen schon bessere Qualität geliefert als die externen Partner in Bosnien.
Die Aufgabe ist nicht einfach, denn die Schuhe, die Künzli herstellt, sind anders. Die Schweizer sind einer von drei Herstellern in Europa, die orthopädische Schuhe produzieren, und in diesem Bereich absolut führend. Solche Produkte könnten in Albanien nicht entwickelt werden. „Andererseits haben wir in Albanien schon endlos über Produktionstechnik gelernt“, erklärt Artmann.
Während die Albaner Technologiewissen vermitteln, unterstütze die Schweizerin ihre Kollegen beim Marketing und Vertrieb. Eigene albanische Brands gäbe es bisher nicht, aber albanische Unternehmer fangen an, eigene Kollektionen zu entwickeln.
Albanische Besonderheiten
Die Arbeiterinnen werden mit dem Bus zur Fabrik gefahren, die etwas ausserhalb beim Flughafen liege. Auch wenn es hierfür verschiedene Gründe gäbe, ist es auch ein Ausdruck dafür, dass die Albaner sich nicht gross für den Job bewegen, weil es anders gehe. Auch zum Vorstellungsgespräch kämen Frauen in Begleitung des Ehemannes.
Als Arbeitgeber, der die Sozialabgaben und Nebenkosten nicht nur versprechen würde, sondern auch tatsächlich bezahle, erhalte man viel Wertschätzung. „Wir behandeln unsere Angestellten fair“, sagt Barbara Artmann und betont: „Es zahlt sich aus, dass man gut zu den Menschen ist.“ So würden sie die Arbeiterinnen an die Firma binden – im Gegensatz zu vielen italienischen Firmen, die sich nicht fair verhielten. Die Angestellten seien zufrieden und seien deswegen auch gut. „Sie dürfen denken, und sie werden gefragt – wir wollen ihre Ideen hören“, erklärt Barbara Artmann.
Kontrollen gäbe es in Albanien regelmässig. Und weil alles schnell gehen musste, fehlte am Anfang auch mal ein Feuerlöscher oder eine Arbeitskleidung. Aber die staatlichen Kontrolleure zeigten durchaus auch Verständnis dafür, dass nicht alles von Anfang an perfekt war.
Lebendiges Netzwerk anstatt Google
Wenn man in der Schweiz ein Problem zu lösen habe, wende man sich als erstes an Google. „In Albanien kann man aber nicht googeln“, musste Barbara Artmann feststellen. Auf die Frage, wie man denn ohne Google Antworten finde, habe sie von Albanern die Antwort erhalten: „Wir fragen einen Freund.“ Das menschliche Netzwerk sei auf dem Balkan sehr wichtig.
Der Start in Albanien sei nur möglich gewesen dank einem guten Team. Von Anfang an habe sie aber auch das Netzwerk gepflegt. Der grösste lokale Schuhhersteller habe ihr seine Unterstützung zugesagt, und bei jedem Besuch in einer anderen Schuhfabrik kann sie Neues entdecken.
Wenn die Unternehmerin in Albanien mal etwas freie Zeit hat, dann gehe sie gerne in Tirana Kleider einkaufen. Gerne würde sie auch mal ein paar Tage am Strand verbringen – aber Ferien hatte die Firmenchefin schon lange nicht mehr.
Offene Menschen
Die Albaner nimmt Barbara Artmann als offene und tolerante Menschen wahr. Die Zusammenarbeit sei viel angenehmer, als was sie sonst in Osteuropa erlebt habe: Die Albaner wollen vorankommen. Diese menschlichen Eigenschaften seien das grösste Gut, das Albanien hat. Sie habe diese Menschen ins Herz geschlossen.
Weniger toll findet sie, dass die Albaner sich oft gegenseitig schlecht machen. Man schimpfe zum Beispiel über die Albaner und sagt, sie seien nicht zuverlässig. Dabei müssten sich viele, die schimpfen, zuerst selber reflektieren. Andererseits ist sie aber überzeugt, dass es nicht gut ist, sich klein zu machen. Sie empfehle, mit mehr Selbstbewusstsein aufzutreten.
Zukunft in Albanien
„Wir haben auch Glück gehabt,“ meint Artmann. Aber andererseits hätte das ganze Team Übermenschliches geleistet. Sie ist überzeugt, dass es eigentlich unmöglich sei, in nur einem halben Jahr eine solche Fabrik aufzubauen.
Barbara Artmann zeigte sich überzeugt, dass Künzli Schuhe dank Albanien wieder an die grossen Zeiten der Vergangenheit anknüpfen könne: Mit der Fabrik in Albanien habe Künzli Schuhe eine stabile Kostenstruktur und die Basis, um das Geschäft für viele Jahre ausbauen zu können.